Hamburg - Eines von etlichen Internet-Videos der vergangenen Wochen aus Iran zeigt einen jungen Mann, der an einer Bushaltestelle in der Hauptstadt Teheran sitzt. Anscheinend grundlos wird er von einem Polizisten mit Sturmmaske attackiert. Plötzlich springt eine Frau ins Bild. Noch bevor sie auf den Polizisten losgeht, rückt sie ihre schwarze Handtasche und ihr Kopftuch zurecht. Doch dann tritt sie zu: einmal, zweimal. Sie setzt noch einen dritten Treffer, bevor sie von einer Gruppe Milizionären mit Schlagstöcken umzingelt, geprügelt und zurückdrängt wird. FRAUEN IN IRAN: WIDERSTAND GEGEN DIE GOTTESMÄNNER
Die Frau in dem verwackelten Amateurfilm ist eine von Tausenden in Iran, die in den vergangenen zwei Wochen die Nachrichtenbilder bestimmten. Beobachter sind sich einig, dass der Protest zu wesentlichen Teilen von Frauen getragen wird. "New York Times"-Kolumnist Roger Cohen berichtete in einer Reportage aus der iranischen Hauptstadt darüber, wie Frauen "die weniger tapferen Männer anstacheln". Er habe gesehen, wie Frauen von Sicherheitskräften geschlagen wurden, nur um sich wenig später wieder den Protesten anzuschließen. "Warum sitzt ihr noch da?", habe eine der Demonstrantinnen einer Gruppe Männer zugerufen. "Steht auf! Steht auf!"
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"Wirtschaftlich und akademisch aktiv" Doch die weibliche Revolte zeigt auch, dass das westliche Bild über iranische Frauen, die eingezwängt im Tschador ihrer Rolle als unmündige Ehefrau gerecht werden, längst nicht mehr stimmt. Sie sind überdurchschnittlich gut gebildet, über zwei Drittel der Studenten an den Universitäten sind weiblich. Während des Kriegs mit dem Irak in den Achtzigern noch verklärt als "Mutter der Märtyrer" oder "heroische Witwe", habe sich das Image der Frau in der Aufbauphase danach zu dem der "wirtschaftlich und akademisch aktiven Frau" gewandelt, sagt die österreichische Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lise J. Abid.
Ausgerechnet durch den staatlich verordneten Kopftuchzwang wurde es möglich, dass eine breite Masse der jungen Frauen Zugang zu den Hochschulen bekam - da nach dem religiösen Verständnis ihrer Familienoberhäupter die Einhaltung der Sittlichkeit sozusagen von Staats wegen gewährleistet ist. Das Resultat: Noch zu Schah-Zeiten konnten nur 35 Prozent aller Frauen lesen. 1991, zwölf Jahre nach Ajatollah Chomeinis Revolution, waren es schon fast 70 Prozent. "Wir sind Mutter, Beschützerin, Trösterin, Ehefrau - und immer öfter auch Brotbringerin", sagt Bidar.
Gleichzeitig aber behandelt das Regime Frauen äußerst brutal, so wurden sie etwa für Ehebruch vor kurzem noch gesteinigt. Die Rechtssprechung ist extrem diskriminierend. Möchte sich eine Frau in Iran scheiden lassen, muss sie nachweisen, dass ihr Mann süchtig, impotent, geisteskrank oder vom Glauben abtrünnig ist. Polygamie ist legal. Arbeiten und reisen dürfen Frauen nur mit Zustimmung ihres Mannes. Im Sommer 2008 wurde eine 21-jährige Studentin zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie an einer landesweiten Unterschriftenkampagne zur Gleichstellung der Frau beteiligt war.
Verrutschte Schleier, lackierte Fingernägel
Diese Mischung aus Einschränkung und Selbstbewusstsein ist es wohl, die die Frauen durch ihren Protest trägt. Denn iranische Frauen sind - verglichen mit Geschlechtsgenossinnen in Saudi-Arabien - verhältnismäßig emanzipiert. Die deutsch-iranische Schauspielerin Jasmin Tabatabai sieht den Widerstandswillen der iranischen Frauen in "diesem immerwährenden Kampf, gegen Mauern zu rennen", begründet.
Dabei ist die Rebellion kein neues Phänomen. Schon früher wurden Iranerinnen politisch aktiv; zahlreich zeigten sie 1979 Unterstützung für die Islamische Revolution. Doch diesmal sind sie sogar mitten im Getümmel, Seite an Seite mit den Männern, werden sie genauso verprügelt und bedroht. Ihren Frust über jahrzehntelange Unterdrückung verbinden sie mit optischen Aufmüpfigkeiten wie demonstrativ verrutschten Kopftüchern, schillernd lackierten Fingernägeln und auffälligen Designersonnenbrillen.
Den 35 Millionen Iranerinnen graut es vor einer zweiten Amtszeit des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der schon 2005 mit dem Versprechen angetreten war, "islamischen Werten" wieder Geltung zu verschaffen. "Die Wurzel der derzeitigen Unruhen ist die Unzufriedenheit und Enttäuschung der Leute über ihre Misere, die bereits vor der Wahl herrschte", glaubt Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi. Unter Ahmadinedschad wurden Vorschriften verschärft, die es Frauen erschweren, länger zu arbeiten oder Überstunden zu machen, und die viele in Teilzeitjobs drängten. Voriges Jahr präsentierte seine Regierung zudem einen Gesetzentwurf mit dem Ziel, Männern die Vielehe zu erleichtern."Die Frauen haben schon vor den Protesten für ihre Rechte gekämpft, obwohl sie inhaftiert und gefoltert wurden", sagt die Exil-Iranerin Nazanin Afshin-Jam im Interview mit SPIEGEL ONLINE. "Jetzt wehren sie sich gegen die Milizen. Das ist wirklich sehr eindrucksvoll. Die Frauen sind eine der stärksten Kräfte in Iran, die große Veränderungen bringen werden."
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