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Interview mit Berthold Pelster, dem Menschenrechtsexperten des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“
ROM, 19. Juni 2009 (
ZENIT.org ).-Trotz brutaler Gewalt seitens der Polizeikräfte und mehreren Toten unter den Demonstrierenden: Im Iran halten die Proteste der Bevölkerung gegen den Ausgang der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni an. Die Menschen in Teheran demonstrieren für Reformen in ihrem Land, in die auch die dort lebenden Minderheiten große Hoffnungen setzen. Über die Situation der Christen im Iran sprachen wir mit dem Menschenrechtsexperten des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“, Berthold Pelster.
ZENIT: Herr Pelster, das Hilfswerk Kirche in Not hat vor den Wahlen im Iran zum Gebet für die dort lebenden Christen aufgerufen. Warum?
--Berthold Pelster: Weil von diesen Wahlen nicht nur für das iranische Volk im Allgemeinen, sondern vor allem auch für die Minderheiten im Besonderen sehr viel abhing. Und zu diesen Minderheiten zählen die Christen, die es in einem islamischen Staat denkbar schwer haben.
ZENIT: Wie viele Christen gibt es denn im Iran?
--Berthold Pelster: Das ist schwer zu sagen, denn ihre Zahl wird durch falsche Statistiken von Seiten der Behörden kleiner gemacht als sie wirklich ist. Nach offiziellen Regierungsangaben gibt es etwa 100.000 Christen im Land. Tatsächlich aber dürften es mindestens doppelt so viele sein. Die meisten von ihnen gehören der armenisch-apostolischen Kirche an. Doch es gibt auch kleine Gruppen von Katholiken und Protestanten.
ZENIT: Unter welchen Bedingungen leben diese Christen?
--Berthold Pelster: Sie leben in einem muslimischen Staat, der sich nach der iranischen Revolution 1979 zum Ziel gesetzt hat, aus dem Iran einen islamischen Gottesstaat zu machen, und zwar auf den Grundlagen der schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Der schiitische Islam ist in der Verfassung als Staatsreligion festgelegt. Das hat zur Folge, dass andere Glaubensrichtungen des Islam gesellschaftlich benachteiligt werden, wie zum Beispiel die kleine sunnitische Minderheit im Land. Besonders rigoros geht der Staat gegen die Religion der Bahai vor.
Diese Glaubensgemeinschaft ist im 19. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangen, wird aber vom Staat als häretisch gebrandmarkt und brutal unterdrückt. Nach der islamischen Revolution 1979 wurden hunderte Bahais verhaftet und Dutzende hingerichtet, vor allem aus der Führungsschicht. Viele heilige Stätten der Bahais wurden vom Staat beschlagnahmt oder zerstört.In diesem rigorosen religiösen Klima haben auch die Christen einen schweren Stand. Auch sie gelten nur als „Bürger zweiter Klasse“ und werden gesellschaftlich benachteiligt, etwa in der Ausbildung oder im Beruf. Missionierung in der Öffentlichkeit ist verboten, genauso der Wechsel vom Islam hin zu einer anderen Religion. Jede Abwendung vom Islam, auch Apostasie genannt, gilt als Verrat an der Religion und an der muslimischen Gemeinschaft und wird in der islamischen Tradition mit dem Tod zu bestrafen.
ZENIT: Das heißt, Konvertiten droht in jedem Fall die Todesstrafe?
--Berthold Pelster: Oft droht ihnen Gefahr von der eigenen Familie, die in Selbstjustiz die vom Abtrünnigen beschmutzte Familienehre wieder herstellen will. Die Tötung eines Apostaten gilt im Übrigen nicht als strafrechtliches Vergehen, sondern vielmehr als Pflicht eines jeden Muslims.Wird ihr Glaubenswechsel öffentlich bekannt, so verlieren Konvertiten meistens ihren Arbeitsplatz. Auch droht ihnen die Konfiszierung ihres Besitzes. Sollten sie verheiratet sein, gilt ihre Ehe vor dem Gesetz nun als illegal, denn es ist muslimischen Frauen nicht erlaubt, mit einem Nicht-Muslim verheiratet zu sein. Trennt sich die Frau nicht von ihrem zum Christentum übergetretenen Ehemann, so kann sie wegen illegalen Zusammenlebens angeklagt werden.Wegen all dieser gravierenden Konsequenzen müssen konvertierte ehemalige Muslime ihren neuen Glauben im Verborgenen leben, in ständiger Angst vor Verfolgung und Vergeltung. Vielen Konvertiten bleibt keine andere Wahl als das Land zu verlassen. Von Religionsfreiheit kann daher im Iran, wie auch in vielen anderen islamisch geprägten Ländern, keine Rede sein.
ZENIT: Im vergangenen September wurde dem iranischen Parlament ein Gesetzentwurf vorgelegt, in dem der Abfall vom islamischen Glauben unter Strafe gestellt wird. Wie sehen diese Regelungen konkret aus?
--Berthold Pelster: Das Gesetz wurde vom Parlament mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Sobald auch der „Islamische Wächterrat“ zugestimmt hat, kann das Gesetz in Kraft treten. Damit sollen Strafen ins offizielle Strafrecht übernommen werden, die der islamischen Tradition entsprechen. Die Abwendung vom islamischen Glauben wird bei Frauen mit lebenslanger Haft, bei Männern mit dem Tod bestraft. Die Strafen fallen so drastisch aus, weil nach islamischem Verständnis die Abwendung vom Islam, wie schon erwähnt, gleichbedeutend ist mit der Aufkündigung der Loyalität zur islamischen Gemeinschaft, also mit Hochverrat.
ZENIT: Präsident Ahmadinedschad rühmt sich aber doch damit, dass die christliche Minderheit gleiche Rechte genießt wie die Muslime. Wie sieht es damit aus?
--Berthold Pelster: Durch die staatliche Verfassung werden die Christen zwar – neben den Juden und den Zoroastriern – als religiöse Minderheit offiziell anerkannt. Doch in der Praxis gelten Christen, wie geschildert, nur als Bürger zweiter Klasse. Sie dürfen ihren Glauben nur innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft und in eigenen Räumlichkeiten ausüben.Besonderer Druck wird auf evangelische Christen ausgeübt. Sie werden teilweise vom Staat gezwungen, ihre Gottesdienste in assyrischer oder armenischer Sprache zu feiern, also in den Sprachen der schon seit langer Zeit im Iran lebenden christlichen Minderheiten. Gottesdienste in persischer Sprache dagegen sind verboten.Mitglieder evangelikaler Gemeinden benötigen einen offiziellen Ausweis von der Regierung, und bei ihren Sonntagsgottesdiensten führt die staatliche Religionspolizei häufig Zugangskontrollen durch.Weil die Lage für die Christen im Iran insgesamt also sehr schwierig ist, sind seit der iranischen Revolution 1979 viele Tausende von Christen ausgewandert. Die christliche Bevölkerung schrumpft also, eine Erscheinung, die wir leider in vielen islamischen Ländern beobachten.
ZENIT: Jegliches öffentliche Bekenntnis zum christlichen Glauben ist untersagt, Werbung für den eigenen Glauben ist streng verboten. Steht dies nicht im Widerspruch zu dem vom Iran unterzeichneten UN-Zivilpakt, der das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit garantiert?
--Berthold Pelster: Ja. Denn dieses Recht umfasst auch die Freiheit, seine Religion alleine oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekunden durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht, öffentlich oder privat.
ZENIT: Haben Sie die Hoffnung, dass es durch die Proteste im Iran nun zu Reformen kommen wird?
--Berthold Pelster: Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wirft die Regierung die Massendemonstrationen mit brutaler Gewalt nieder. Das hätte zur Folge, dass Präsident Ahmadinedschad an der Macht bleibt. Oder die Demonstrationen führen tatsächlich dazu, dass die Wahl annulliert und wiederholt wird. Dann gäbe es aus meiner Sicht die Hoffnung, dass sich gemäßigtere Politiker durchsetzen könnten, die für eine Demokratisierung des Landes sorgen könnten, mit positiven Auswirkungen auch auf das grundlegende Menschenrecht der Religionsfreiheit.

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